Tarifeingriff; so nicht, Herr Bundesrat Berset !

In der deutschen Sprache gibt es eine schöne Redewendung: „Neue Besen kehren gut.“ Nachdem Bundesrätin Frau Baume-Schneider das Innendepartement von Bundesrat Herrn Berset übernommen hat, weht ein frischer Wind durch dieses Departement. Es wird wieder Wert auf Dialog gelegt, anstatt einseitige Entscheidungen zu treffen.

Im Herbst 2023 musste ich leider folgendes berichten:

Vor 40 Jahren betrat ich als junger, ehrgeiziger holländischer Physiotherapeut Schweizer Boden. Schon damals war die Frage der angemessenen Vergütung physiotherapeutischer Arbeit ein zentraler Streitpunkt. Die Entlohnung war stets zu gering und sorgte für Unmut.
In den folgenden vier Jahrzehnten wurden wir Physiotherapeuten mehrmals durch von Versicherungen diktierte Tarife und von den Kantonen festgelegte Taxpunktwerte vor den Kopf gestoßen. Es wurde zur bitteren Realität, dass eine Steigerung der Qualität unserer Arbeit nicht zwangsläufig zu einer angemessenen Lohnverbesserung führte. Trotz enthusiastischer Bemühungen und zahlreicher Zusatz- und Spezialisierungsausbildungen blieben die Löhne stagnierend, während die Leistungsentschädigungen in die falsche Richtung tendierten.

Es überrascht nicht, dass viele Kollegen den Beruf aufgaben, um in Sektoren einzusteigen, in denen die Lohnentschädigung erheblich höher war. Wie zum Beispiel Büroarbeit bei Versicherungen, Vertriebsaufgaben oder die Weiterbildung zum Osteopathen. Die Vergütung für unsere auf Fachhochschule absolvierte und spezialisierte Physiotherapiearbeit war stets ein Grund zur Unzufriedenheit. Gute und engagierte Kollegen verließen den Bereich der Physiotherapie aufgrund der unzureichenden Entlohnung.

In den Jahren 2011 bis 2013 erreichte die Unzufriedenheit unter uns Physiotherapeuten ihren Höhepunkt, und wir kündigten den damaligen Tarifvertrag mit den Krankenkassen. Ein neuer Vertrag kam zustande, doch unsere Zugeständnisse überwogen erneut. Selbst die geringfügige Anpassung der Taxpunktwerte im Jahr 2017 hinkte hoffnungslos der in den letzten 25 bis 30 Jahren aufgelaufenen Inflation hinterher.

Nun, sechs Jahre später, werden erneut die wahrscheinlich günstigsten Tarife im OKP-Gesundheitswesen attackiert – diesmal unter der persönlichen Leitung von Herrn Bundesrat Berset. Während im Hintergrund Santesuisse und Curafutura triumphieren, verbergen sie sich hinter dem Vorwand „wir können uns nicht einigen“. Der Bundesrat interveniert nun mit seiner subsidiären Kompetenz und plant Maßnahmen, um die Abrechnungsstruktur „für Patienten transparent“ zu gestalten. Als „minimalen Eingriff“ schlägt er die Einführung einer Zeitpauschale vor. Doch dieser sogenannte „minimale Eingriff“ bedeutet in Wirklichkeit eine drastische Kürzung der bereits jetzt schon geringen Entschädigung!

Als weiteren Grund für diese Maßnahme wird die „massive Zunahme der
physiotherapeutischen Behandlungskosten“ genannt. Zwar ist der finanzielle Aufwand gestiegen, aber er beträgt immer noch weniger als 4% der Gesundheitskosten (2022; 3%). Dabei wird übersehen, dass diese Zunahme zum Teil beabsichtigt ist. Die „Ambulantisierung“ führt dazu, dass Patienten schneller aus dem Krankenhaus entlassen werden und früher physiotherapeutisch behandelt werden. Dank Forschung und evidenzbasierter Medizin werden mehr Patienten physiotherapeutisch behandelt statt operiert. Die demografische Alterung erfordert ebenfalls vermehrt physiotherapeutische Betreuung.
All diese Fakten führen zu Mehrkosten in der Physiotherapie. Dabei wird übersehen, dass dies in anderen Bereichen Kostenersparnisse mit sich bringt (geringere Krankenhauskosten, weniger Operationskosten und eine selbständigere ältere Bevölkerung). Man sieht nur die Mehrkosten in der Physiotherapie, nicht die Ersparnisse durch Physiotherapie.

Eine Annahme einer der beiden Vernehmlassungsvorschläge von Herrn Bundesrat Berset hätte verheerende Folgen. Die ohnehin finanziell angeschlagenen Physiotherapiepraxen würden durch die dann entstehenden niedrigeren Behandlungsentschädigungen noch stärker belastet. Laut einer kürzlichen Mitgliederumfrage würden sich im Falle einer Umsetzung des Tarifeingriffs 42 Prozent der Praxisbesitzer:innen überlegen, die Praxis zu schließen, und 54 Prozent würden sogar in Erwägung ziehen, aus dem Beruf auszusteigen.

Am 17. November werden wir nach Bern gehen und für eine Wiederaufnahme der blockierten Tarifverhandlungen plädieren. Unser oberstes Ziel ist es, die Damen und Herren Politiker davon zu überzeugen, dass eine Annahme der Vernehmlassungsvorschläge katastrophale Auswirkungen haben kann. Beide Vorschläge sind vehement abzulehnen. Die Tarifpartner müssen, sei es durch eine Bundesrätliche Zwangsmassnahme, wieder an einem Verhandlungstisch sitzen und anhand der neuesten repräsentativen Zahlen (LeDa-Studie) zu einem vernünftigen neuen Tarifvertrag kommen.